Hakō, eine Dichterin aus dem alten Japan

Hakō, eine Dichterin aus dem alten Japan

So hätte sie aussehen können – die Frau, die eine rote Feder hielt. Einige Verse sind erhalten. Ihr Gesicht nicht. Doch dieser Ausdruck kommt ihr vielleicht nahe: wach, diszipliniert, aber nicht gebändigt, achte aufs Haar …


Die rote Feder: Poesie einer unbeirrbaren Frau

In einer Zeit, in der das Dichten den Männern gehörte und die Regeln festgezurrt waren, schrieb sie sich mit roter Feder in die Literaturgeschichte: Hakō (羽紅) war eine der wenigen namentlich bekannten Dichterinnen der Edo-Zeit. Ihr Name – ein Bild aus „Feder“ (羽) und „Karmesinrot“ (紅) – war nicht nur ein Pseudonym. Er war Programm.

Heute wirkt er beinahe kühn. Man könnte an Leidenschaft oder Aufbegehren denken. Doch in ihrer Zeit war „rot“ das Zeichen zarter Schönheit, von Empfindsamkeit, von Tiefe und Vergänglichkeit. Gemeint war kein grelles Rot – es war das Rot der Lippenfarbe, des Ahornlaubs, des stillen Errötens. Und die Feder? Kein Schreibgerät, sondern ein Bild für Leichtigkeit, vielleicht auch für Distanz und Eigensinn.

Damasareshi hoshi no hikari ya sayo shigure

In die Irre geführt
vom Sternenlicht –
Winterregenschauer.

Eine Frau zwischen zwei Welten

Nozawa Tome, geboren vermutlich in den 1660er-Jahren in Kyōto, war die Ehefrau des Haiku-Dichters Nozawa Bonchō, einem Schüler des berühmten Matsuo Bashō. Gemeinsam bildeten sie ein literarisches Paar – in einer Dichtungskultur, die Frauen kaum Raum ließ, eine Seltenheit. Kinder hatten die beiden nicht, aber einen jungen Diener.

waga ko nara tomo ni wa yaraji yoru no yuki

Wäre es mein Kind …
ich ließe es nicht mitgehen
in den nächtlichen Schnee.

Das wohl mutigste ihrer Haiku – sie verbot ihrem Mann, den 12-jährigen Diener mitzunehmen. Bonchō ging beschämt allein. So die Legende.

Hakō lebte in Kyōto im Stadtteil Ogawa. 1691 wurde sie buddhistische Nonne – ein äußerer Schritt, der ihr innerlich neue Freiheit brachte. Fortan nannte sie sich Uko, las die Zeichen ihres Namens neu, behielt aber deren Bedeutung. Der Name blieb. Die Lesung änderte sich. Die Richtung war nun ihre eigene.

Ein Abend mit Bashō

Im Frühjahr 1691 besuchten Hakō und Bonchō ihren Lehrer Bashō im ländlichen Sagano bei Kyōto. Gemeinsam mit anderen Dichtern verbrachten sie die Nacht unter einem Moskitonetz – man plauderte, dichtete, lachte bis zum Morgen. Bashō hielt die Begegnung in seinem Saga Nikki fest und zitierte ein Haiku von ihr, das an diesem Abend entstand. Ein seltener Moment echter Nähe – persönlich und poetisch.

Harusame no agaru ya noki ni naku suzume

Der Frühlingsregen
klart auf – an der Dachkante
zwitschern Spatzen.

Worte, die bleiben

Von Bashō sind über 230 Briefe erhalten – nur acht davon gingen an Frauen. Drei an Hakō. Bashō schrieb ihr in Kana – in klarer, persönlicher Schrift, wie sie im Briefwechsel mit Frauen üblich war. Nicht als Vereinfachung, sondern als Zeichen von Nähe und Höflichkeit. In einem dieser Briefe aus dem Jahr 1693 zitiert Bashō eine bemerkenswerte Selbsteinschätzung Hakōs:

»Weder eine Schönheit noch eine tugendhafte Frau – nur mein Herz.«

Der Brief ist erhalten und richtet sich an „die Nonne von Ogawa“, wie Hakō dort genannt wird. Bashōs Ton ist persönlich, respektvoll und frei von Überhöhung – und genau das macht die Stelle so eindrucksvoll: Sie zeigt eine Frau, die sich nicht über Äußerlichkeiten oder Rollen definiert, sondern über Mitgefühl und Haltung. Eine Stimme, die nicht laut ist – aber hörbar bleibt.

Ihre Haiku

In der berühmten Anthologie Sarumino war Hakō vertreten: mit 13 Haiku – ein beachtlicher Anteil, wenn man bedenkt, wie selten Frauen in solchen Sammlungen auftauchten. Ihre Dichtung war keinesfalls nur eine Zierde. In der späteren Anthologie Tamamoshū (俳諧撰集玉藻集), die sich ganz den Werken von Dichterinnen widmete, ist sie mit mehreren Versen vertreten. Herausgegeben wurde die Sammlung von Yosa Buson, mit einem Vorwort von Chiyo-ni – zwei Namen, die für hohe literarische Maßstäbe stehen. Dass Hakō dort ihren Platz fand, zeigt: Ihre Stimme wurde gehört.

Yūgao ni yobarete tsuraki atsusa kana

Von der Mondblume
gerufen werden –
diese drückende Hitze!

Hakos Vers spielt mit dem Kontrast zwischen der verlockenden Schönheit der nächtlichen Blüte und der erdrückenden Sommerhitze – eine Meditation über Sehnsucht und die Widrigkeiten des Alltags aus weiblicher Perspektive. Unter anderen Umstände, sie war eine verheiratete Frau, könnte hier auch ein Stelldichein locken, das die Hitze erschwert.

Stürze, die sie überstand

Die Jahre nach 1693 wurden schwer. Bonchō geriet in einen Handelsskandal, wurde inhaftiert, verlor Ansehen und Einkünfte. Hakō blieb. Ohne Klage, ohne Distanz. Die beiden zogen sich nach Ōsaka zurück, lebten einfach, beinahe vergessen. Doch Hakō wich ihm nicht von der Seite. Sie pflegte ihn bis zu seinem Tod im Frühjahr 1714.

Danach verliert sich ihre Spur. Einige Quellen vermuten ihr eigenes Ende um 1716, andere erwähnen sie noch 1722. Sicher ist: Sie verschwand, ohne noch einmal in Erscheinung zu treten – wie viele Frauen ihrer Zeit.


Was bleibt

Von Hakō ist wenig überliefert. Keine Lebensdaten, kein Grab, kaum Texte. Kein Hinweis, dass sie Einfluss auf Bonchōs Werk hatte. Aber ihr Name taucht auf – in Anthologien, in Briefen, in Nebensätzen. Das genügt, um zu wissen: Es gab sie.

Eine Frau, die Haiku schrieb. Nicht im Schatten, aber auch nicht im Licht der Geschichte. Ihre rote Feder steht weniger für literarischen Ruhm als für leise Beharrlichkeit. Für die Möglichkeit, dass unter den Stimmen der Edo-Zeit mehr verborgen liegen könnte, als überliefert wurde.

kōgai mo kushi mo mukashi ya chiri tsubaki

Haarnadel und Kamm
haben ihre Zeit gehabt –
gefallene Kamelien.


Quellen (japanisch)

bluetenschmetterlinge

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