Yokoi Yayu (1702-1783) – Der Samurai unter den Haiku-Dichtern

Yokoi Yayu in fortgeschrittenem Alter, dargestellt mit Schreibutensilien.

Yokoi Yayu in fortgeschrittenem Alter, dargestellt mit Schreibutensilien. KI generiert nach einer alten Zeichnung (sie ist weiter unten zu sehen)

Yokoi Yayu (1702–1783) – der Samurai, der Haiku liebte

Wenn man an klassische Haiku denkt, tauchen sofort die großen Namen auf: Bashō, Buson, Issa. Doch es gibt auch andere Meister, die sich mit feinem Witz und Ernst einen Platz in der Geschichte erdichtet haben. Sie sind nicht minder großartig – einer von ihnen ist Yokoi Yayu.

Geboren 1702 in Nagoya, mitten in der goldenen Mitte der Edo-Zeit, wuchs Yayu als Sohn einer angesehenen Samurai-Familie auf. Der Vater war Beamter im Dienste des Owari-Klans, einer mächtigen Tokugawa-Seitenlinie. Pflichtbewusstsein war also Pflichtprogramm. Und Yayu? Er machte mit – aber auf eigene Art.

Am Fuße des Hügels
wird die Nacht weiß –
Buchweizenfelder.

Schon als Jugendlicher liebte er die Poesie. Haiku, diese kurzen Momentaufnahmen des Lebens, zogen ihn in ihren Bann. Ohne offiziellen Lehrer, aber mit viel Neugier, lernte er allein. Früh begann er, sich ernsthaft mit Haiku zu beschäftigen. Später knüpfte er Kontakte zu Schülern der Basho-Schule. Er studierte unter Mutō Hajaku und Ōta Hajō, die Schüler von Kagami Shikō waren – einem der „Zehn herausragenden Jünger“ Bashos und Begründer der Mino-Schule.

Ein Leben zwischen Hofamt und Haiku

Yayus Lebensweg war von zwei Welten geprägt: der Welt des Hofes und der Welt der Kunst. Mit 26 trat er in die Fußstapfen seines Vaters und übernahm nicht nur den Familienbesitz, sondern auch Verantwortung. Bald schon stieg er zum Hausbeamten auf, wurde später Kommandant der Leibwache und Tempelaufseher. Ein wehrhafter Bürokrat also, mit einem durchaus sattlichem Reisertrag als geregeltem Einkommen.

Doch hinter der Uniform verbarg sich ein vielseitiger Geist: Yayu beherrschte Kalligraphie, malte, spielte Biwa-Laute, kannte die klassischen Texte Chinas, übte sich im Bogenschießen und in der Teezeremonie. Kurzum: ein Bilderbuchsamurai.

Trotz all dieser Talente blieb er bescheiden. Er trennte strikt zwischen Amt und Muße, zwischen Hof und Haiku. Und auch wenn er als Dichter einen wachsenden Ruf genoss – er gründete keine Schule, nahm keine Schüler an. Der Kult um den Meister lag ihm fern.

Eines seiner berühmtesten Zitate lautet sinngemäß: »Mein einziger Schüler war ein Kleinkind, dessen Gebrabbel zufällig das Haiku-Metrum traf.« Das ist typisch Yayu – ein feiner Humor, der nie beißt, aber trifft. Er beobachtete genau, wog Worte ab und verbarg seine Kritik in eleganter Ironie.

Im Haus des Eigenbrödlers
schreit ein Bankert –
Papierfähnchen im Wind.

Vom Samurai zum freien Geist

Mit 53 zog Yayu einen Schlussstrich. Er legte alle Ämter nieder, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. In Wirklichkeit aber sehnte er sich nach einem Leben jenseits von Rang und Pflicht. Er zog sich in ein kleines, schlichtes Haus zurück – sein „Chi’utei“, der „Pavillon, der den Regen kennt“.

Dort lebte er einfach. Kein Prunk, kein überflüssiger Zierrat. Freunde schenkten ihm kunstvolle Teegefäße – er nahm sie widerwillig an, um niemanden zu kränken. Der Luxus des Alters? Für Yayu bestand er aus Gesprächen mit Bauern, Händlern und Dichterfreunden. Aus dem Beobachten der Natur. Aus Haiku.

Der Sommer hebt an –
am Kleidergerüst wechselt
der Wind die Farbe.

Trotz seiner Zurückgezogenheit blieb er kein Eremit. Sein Haus war offen für Besucher aus allen Schichten. In Teerunden, Dichtübungen und Spaziergängen vermittelte er seine Sicht auf die Schönheit des Alltags. Ein Vogelruf, ein Regenschauer, ein Windstoß – alles konnte Haiku sein.

Yokoi Yayu alte Zeichnung

Yayu dargestellt mit Brille auf einer Zeichung seiner Zeit.

Ein leiser Abschied – und ein spätes Vermächtnis

Yokoi Yayu blieb seinem schlichten Lebensstil bis zuletzt treu. In seinem Pavillon, umgeben von Bambus, Gräsern und dem gelegentlichen Blick auf die Berge, schrieb er weiter Haiku, zeichnete, empfing Gäste – oder genoss einfach die Ruhe.

1783 starb Yayu im Alter von 81 Jahren in Nagoya. Auf den ersten Blick: das ruhige Ende eines pensionierten Beamten. Sein Wirken sollte erst später Kreise ziehen.

Einige seiner Haiku Werke erschienen herausgegeben von Ōta Nanpo 1787 unter dem Titel Uzura-goromo (Wachtelfedergewand) in Druck. Faksimile des Originals oder hier.

Der Mensch hinter den Versen

Was Yokoi Yayu so besonders macht, ist nicht allein seine Begabung, sondern seine Haltung. Er lebte in einer Zeit, in der Status alles war. Und doch entschied er sich bewusst für das Einfache. Er lehnte Geburtstagsfeiern ab. Er kritisierte nie offen, sondern mit Humor. Er unterrichtete nicht, sondern lud Nachbarn zum Tee.

Yayu war kein Prophet, kein Reformator – er war ein Mensch mit Geschmack, Würde und einem tiefen Sinn für das Schöne im Unscheinbaren. In seinen Gedichten klingt diese Haltung immer mit. Seine Texte zeigen keine Helden, keine Wunder – sondern Glühwürmchen, Händler und sogar Klohäuschen und das gelegentliche Lächeln eines alten Mannes.

In der Hand des
ausgescholtenen Kindes
leuchtet ein Glühwürmchen.

Warum Yayu heute noch berührt

Yayus Werk hat etwas Zeitloses. In einer Welt, die laut ist, eitel und oft auf Effekt getrimmt, wirkt seine Art fast revolutionär: gediegen, fein, warm. Er war jemand, der nicht beeindrucken wollte, und genau deshalb Eindruck hinterlässt.

Für Haiku-Fans ist er ein Geheimtipp, für Japan-Interessierte eine Tür zu einer anderen Welt. Und für alle, die sich fragen, wie man Würde mit Witz verbindet, ist Yokoi Yayu ein wunderbarer Wegweiser.

Sein Grab liegt heute im Tempel Sai’on-ji in der Stadt Aisai, Präfektur Aichi (Nishifuji-3 Fujigasecho, Aisai, Aichi 496-8041, Japan). Wer sich dorthin begibt, findet keine lebensgroße Statue, keinen Prunk vor. Nur einen stillen Ort, ganz im Sinne dessen, der die Welt einst mit drei Zeilen zum Leuchten brachte.

Wenn die Raupe
klagen könnte …
der Mond von heute.

Ein Schirm für zwei,
ein Ärmel für jeden –
Herbstniesel …

Der Buschklee ist verdorrt,
nun sieht man das Klohäuschen –
so grimmkalt ist es!

Der Duft der Dunkelheit,
pflückt man ihn, ist er weiß –
Pflaumenblüten.

Es ist Herbst geworden –
zwischen den Bäumen
mattes Himmelsblau.

Quellen: Yokoi Yayu in japanischen Literaturlexika und Fachartikeln, Digitalisate der Nihon Kokugo Daijiten und der Asahi-Nihon Jinbutsu Jiten kotobank.jpkotobank.jp; Edozeitliche Biographie Kinsei Kijin-den (1788) lapis.nichibun.ac.jplapis.nichibun.ac.jp; Informationsseiten aus Aichi/Nagoya (Kenporen Aichi, Nagoya City Museum) kenporen-aichi.jp; Edo-Guide und Wikipedia Japan edo-g.comja.wikipedia.org; Präfektur Aichi Kulturportal und andere.

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