Kobayashi Issa – großer Haikudichter (nicht nur) kleiner Dinge

Kobayashi Issa Bild

Kobayashi Issa (小林 一茶, 1763 – 1828) gehört zu den bedeutendsten japanischen Haiku-Dichtern und zählt zusammen mit Basho, Buson und Shiki zu den so genannten Großen Vier.

Issa schrieb nicht nur über Erhabenes und Großartiges, sondern besonders gern auch über den Alltag, über Tiere und überhaupt über alles, was im begegnete. Ausnahmen machte er nicht. Für ihn war alles ein Haiku.

寝むしろや桜にさます足のうら
ne mushiro ya sakura ni samasu ashi no ura (1820)

Auf dem Strohlager –
Kirschblüten wecken
meine Fußsohlen auf.

Sein Pseudonym Issa, was »eine Tasse Tee« bedeutet, steht sinnbildlich für die Bescheidenheit und Einfachheit, die in seinen Werken so oft mitschwingen. Kobayashi ist der Familienname. Sein Werk, das über 20.000 Haiku umfasst, ist eine Fest der kleinen, oft übersehenen Dinge des Lebens – von Insekten bis zu den flüchtigen Momenten des Alltags. Wie er das schaffte? Issa schrieb immer, war stets bereit für ein Haiku und ging mit offenen Augen durch seine Welt.

青芝ぞここ迄ござれ田にし殿
ao shiba zo koko made gozare tanishi dono (1812)

Frischer Frühlingsrasen –
treten Sie näher,
Herr Wasserschnecke!

Ein schwieriger Start ins Leben

Issa wurde als Kobayashi Nobuyuki in Kashiwabara, einer ländlichen Region der heutigen Präfektur Nagano, geboren. Sein Kindheitsname war Kobayashi Yataro. Sein Leben war von Anfang an von Verlust geprägt: Seine Mutter starb, als er erst drei Jahre alt war, woraufhin seine Großmutter die Mutterrolle übernahm. Diese Verbindung war für den jungen Issa eine Quelle von Trost und Zuwendung. Doch auch dieses Band wurde früh zerrissen. Seine Großmutter starb als Issa 14 Jahre alt war.

Das Verhältnis zu seiner Stiefmutter, die sein Vater fünf Jahre nach dem Tod seiner Mutter geheiratet hatte, war angespannt. Sie galt als zähe, pragmatische Haushälterin mit Führungsanspruch, die wenig Nachsicht für Issas sensible und wanderlustige Natur zeigte. Als sein Vater schließlich beschloss, den jungen Issa nach Edo (heute Tokio) zu schicken, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen, begann für Issa eine Phase von über zehn Jahren, über die wenig bekannt ist.

akegata ya awase wo tôsu matsu no tsuki (1812)

Morgendämmerung –
der Mond dringt durch die Kiefern
in meinen Winterkomono.

Wanderjahre und Rückkehr

In diesen Jahren wanderte Issa durch Japan, ohne festen Wohnsitz. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1801 kämpfte er lange Zeit um sein Erbe, da seine Stiefmutter ihm den Besitzanspruch streitig machte. In seinem Heimatdorf begann eine kurze Phase der Stabilität: Er heiratete seine erste Frau, Kiku (Chrysantheme), und hoffte auf ein friedliches Leben. Doch das Glück war ihm nicht hold. Ihre gemeinsamen Kinder starben früh – ein Verlust, den Issa in seinen Haiku tiefgreifend verarbeitete. Auch Kiku selbst erkrankte und starb 1823.

大菊のさんだらぼしやけさの雪
ôgiku no sandaraboshi ya kesa no yuki (1814)

Die große Chrysantheme,
behütet unter dem Strohdach –
Morgenschnee.

Die große Chrysantheme könnte symbolisch für Kiku stehen, da ihr Name direkt auf diese Blume verweist. Das Strohdach kann als Ausdruck von Fürsorge und Schutz verstanden werden, während der Morgenschnee die Zartheit und Vergänglichkeit des Moments betont. Aber das ist nur eine heutige Deutung.

我菊や形にもふりにもかまはずに
waga kiku ya nari ni mo furi ni mo kamawazu ni (1815)

Meine Chrysantheme
sorgt sich weder um ihr Aussehen
noch um den Stil.

Und dies könnte eine poetische Umschreibung ihrer Persönlichkeit sein.

Issa heiratete erneut, doch auch diese Beziehungen waren von Verlust geprägt. Seine persönliche Tragödie gipfelte in einem verheerenden Feuer im Jahr 1827, das sein Haus zerstörte. Er lebte daraufhin in einem kleinen Lagerhaus, das als historisches Denkmal bis heute erhalten ist (siehe Links weiter unten). Dort schrieb er weiter, bis er am 5. Januar 1828 in seinem Heimatdorf starb.

Dar alte Issa (KI Darstellung)

Die Poesie der kleinen Dinge

Issa war ein Meister darin, die kleinsten Aspekte des Lebens in seinen Haiku zu würdigen. Seine Gedichte zeugen von einer tiefen Liebe zu den unscheinbaren Lebewesen: Er schrieb 54 Haiku über Schnecken, 200 über Frösche, über 230 über Glühwürmchen und nahezu 1.000 Haiku über Insekten wie Flöhe, Mücken und Zikaden. Diese Themenvielfalt hebt ihn von anderen Haikumeistern ab, die sich oft auf die großen Themen des Lebens konzentrierten.

有がたや能なし窓の日も伸る
arigata ya nô nashi mado no hi mo nobiru (1816)

Es ist wie es ist,
selbst durch ein armseliges Fenster
kommt Licht herein.

Issa war kein weiser Poet wie Basho und kein Ästhet wie Buson. Er sah das Leben unbeständig und in Einzelteilen, doch gerade diese Bruchstücke füllte er mit Tiefe und Empathie. Er hatte die Fähigkeit, im kleinsten Detail die ganze Welt zu erkennen. So schrieb er humorvolle, manchmal ironische, sogar freche Haiku, die häufig von einem zärtlichen Mitgefühl durchzogen sind.

Issas humorvolle Seite zeigt dieses Haiku …

Schlangensushi – Ein illustriertes Haiku von Issa (1822)

蛇の鮨も喰かねぬ也薬なら
ja no sushi mo kuwa-kanenu nari kusuri nara (1822)

Schlangensushi –
selbst als Medizin
nicht runterzubekommen.

Das Haiku ist echt und historisch. Das Gericht gab es allerdings nie. Issa spielt hier mit dem Ekel. Schlangensushi ist frei erfunden, aber Sushi war zu seiner Zeit eine stark riechende Speise, der Fisch wurde nämlich fermentiert. So ähnlich wie schwedisches Surströmming. Schlange – selbst zu Heilzwecken – ist nur eine humorvolle Übertreibung.

Haikusammlungen von Issa

Diese kannst du hier kostenlos lesen …

Ein Dichter ohne viele Schüler

Obwohl Issas Werke heute hoch geschätzt werden, hatte er zu Lebzeiten nur wenige Schüler, im Gegensatz zu Meistern wie Basho, die ganze Schulen um sich scharten. Diese Isolation mag an seiner unorthodoxen und eigensinnigen Herangehensweise gelegen haben, die ihn eher als Einzelgänger denn als klassischen Meister der Haiku-Dichtung erscheinen ließ. Dennoch fand er ein Publikum, vor allem unter einfachen Leuten, die sich mit seinem Werk identifizieren konnten.

世の中は是程よいを啼蛙
yo no naka wa kore hodo yoi wo naku kawazu (1813)

Das Leben ist schön –
lauthals quaken
die Frösche.

Seine Gedichte, die oft in lokalen Dialekten geschrieben und voller alltäglicher Beobachtungen waren, sprachen eine Sprache, die für die breite Bevölkerung verständlich war. Während die literarische Elite ihn oft als sentimentalen Außenseiter betrachtete, sahen viele in ihm einen Dichter, der den wahren Geist des Lebens einfing. Mehr Frösche

Issas Bedeutung heute

Heute wird Issa als einer der größten Haiku-Meister Japans gefeiert, dessen Werke zeitlos geblieben sind. Seine Fähigkeit, die Schönheit und Tragik des Lebens in den kleinsten Details zu finden, macht ihn für moderne Leser besonders relevant. Seine Gedichte sind eine Quelle der Inspiration für Achtsamkeit, Empathie und die Wertschätzung des Augenblicks. Während Basho oft mit Zen assoziiert wird, sehen viele in Issa den menschlichsten der Haiku-Dichter, dessen Werke Humor und Mitgefühl vereinen.

In einer zunehmend hektischen Welt bieten Issas Gedichte einen Ruhepunkt und erinnern daran, dass selbst in den schwierigsten Zeiten Trost in den einfachsten Dingen zu finden ist. Seine Popularität hat sowohl in Japan als auch international zugenommen, und seine Werke werden weiterhin studiert, interpretiert und geschätzt – als Zeugnis eines Dichters, der die Essenz des Lebens auf unvergleichliche Weise festhielt.

うき世も空も夜寒や雲急ぐ
ukiyo mo sora mo yozamu ya kumo isogu (1815)

Die flüchtige Welt –
ein kühler Nachthimmel,
die Wolken fliegen.

Anekdoten

Die Liebe zu Insekten

Eine berühmte Anekdote erzählt von Issas unerschütterlicher Liebe zu kleinen Lebewesen, selbst zu jenen, die die meisten Menschen als lästig empfinden. Er soll Flöhe und Läuse mit einer bemerkenswerten Nachsicht betrachtet haben. Nach einem verheerenden Feuer in seinem Heimatdorf, das sein Haus zerstörte, schrieb er humorvoll, dass sogar die Flöhe aus dem brennenden Haus geflüchtet seien und nun mit ihm im Lagerhaus Zuflucht suchten. Dieser Humor inmitten der Tragödie zeigt, wie sehr er das Leben in all seinen Formen schätzte.

Issas Mitgefühl für Tiere

Es wird erzählt, dass Issa oft mitleidsvoll auf Tiere reagierte, die in Not waren. Eine bekannte Szene beschreibt, wie er einem heimatlosen Spatz ein Zuhause bot, indem er das Vogelkind in seinem kleinen, bescheidenen Heim aufnahm und mit Liebe versorgte. Dieses Ereignis wird häufig als Symbol für Issas Mitgefühl und seine Zuneigung zu den »schwächsten« Geschöpfen zitiert.

Die Schnecke auf dem Berg Fuji

Issas Haiku über die Schnecke, die langsam den Berg Fuji erklimmt, wird oft als Spiegel seiner Lebenseinstellung zitiert. Es wird berichtet, dass er dieses Gedicht als humorvolle Antwort auf einen Schüler schrieb, der sich über die Langsamkeit von Fortschritt beklagte. Die Botschaft war klar: Geduld und Beharrlichkeit können auch das scheinbar Unmögliche erreichen. Hier ist eine bildliche Darstellung zusammen mit dem Haiku

Seine Haltung zum Buddhismus

Obwohl Issa ein tiefgläubiger Buddhist war, betrachtete er Religion oft mit einem ironischen Blick. Einmal soll er gesagt haben, dass der Buddha selbst Flöhe nicht töten würde – eine Anspielung darauf, dass Mitgefühl und Geduld auch im Alltag gelebt werden sollten, selbst gegenüber den kleinsten Lebewesen. Diese Anekdote illustriert seine tiefe Verbindung zur buddhistischen Ethik und seine Fähigkeit, diese humorvoll und alltagsnah auszudrücken.

Der Einsiedler mit Humor

Issa lebte oft isoliert, besonders in seinen letzten Jahren. Es wird berichtet, dass er während eines besonders kalten Winters schrieb, dass er zwar alle überlebt habe, aber die Kälte ihn dennoch als letzten Gegner herausfordere. Sein Humor half ihm, selbst in den schwierigsten Zeiten einen Sinn zu finden.

ただ頼々とや桜咲
tada tanome tada tanome to ya sakura saku (1807)

Vertraue einfach,
vertraue darauf –
die Kirschblüte blüht.

Links ins WWW

Haiku Illustration Japan

Übersetzungen von Lenny Löwenstern. Grafiken von DALL-E (KI). Die Illustration fertigte ChatGPT 4.o an. Die Katze zu verwenden, war Idee der KI. Quellen: History of Haiku (Blyth), Wikipedia.

bluetenschmetterlinge

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der Morgen, der Wald,
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