
Meine Vorstellung des traditionelle vor allem ländlichen Japan ist stark vom Regen geprägt. Das muss an den Ukiyo-e (Farbholzschnitt) liegen, die ich lange schon bewundere, denn das Land selbst habe ich nie bereist. Japan, der Regen und das Haiku gehören irgendwie zusammen. Für diesen Beitrag habe ich Regenhaiku großer Meister gesammelt und übersetzt.
Regen (雨, ame) spielt im klassischen Haiku eine bedeutende Rolle als Kigo, ein saisonales Wort, das auf die Jahreszeit hinweist und eine bestimmte Stimmung oder Atmosphäre schafft. Regen wird oft verwendet, um verschiedene Emotionen und Szenarien darzustellen, und seine Bedeutung variiert je nach Kontext.
Einerseits symbolisiert Regen die Vergänglichkeit des Lebens. Er erinnert an den ständigen Wandel und die Flüchtigkeit der Zeit, was ein zentrales Thema im Haiku ist. Andererseits stellt Regen eine direkte Verbindung zur Natur her und bringt die frische, klare Atmosphäre, die nach einem Regenschauer entsteht, ins Gedicht.
So wird die Schönheit des Alltäglichen hervorgehoben, was ein Schlüsselmerkmal des Haiku ist. Regen kann zudem verschiedene emotionale Stimmungen hervorrufen, von Melancholie und Einsamkeit bis hin zu Erneuerung und Hoffnung. Lies auch: 20 zeitlose Blumen- und Blüten-Haiku von Matsuo Basho
Halb im Traum,
der Regen zur Regenzeit –
auch heute wieder.
Kobayashi Issa (1763–1828)
Mit der Regenzeit bezieht sich Issa auf eine spezifische Wetterperiode in Japan, die etwa von Juni bis Juli dauert. Während dieser Zeit gibt es eine hohe Luftfeuchtigkeit und häufige, lang anhaltende Regenfälle. Diese Periode ist für die Natur wichtig, insbesondere für die Reisfelder, die viel Wasser brauchen.
Frühlingsregen –
der Brief des Freundes
wird nass.
Matsuo Bashō (1644–1694)
Tropfen für Tropfen –
das Geräusch des Regens
am Bambusvorhang.
Masaoka Shiki (1867–1902)
Frühlingsregen –
der Bauch des Frosches
ist noch trocken.
Yosa Buson (1716-1784)

Im Japanischen gibt es tatsächlich viele poetische und spezifische Begriffe für Regen, die Ideen und Stimmungen ausdrücken. Japanische Wörter für verschiedene Regenarten und ihre Nuancen sind oft bildhaft und werden in Haikus gern verwendet.
Der Teich und der Fluss
sind eins geworden –
Frühlingsregen.
Yosa Buson
Auf meinen Hut
tropft und tropft es –
Winterregen.
Taneda Santōka (1882–1940)
wenn es Berge gibt
schaue ich Berge an –
an Regentagen
höre ich dem Regen zu
Taneda Santōka in abweichender Form
Haiku? Wenn du Haiku zum ersten Mal liest, kannst du sie einfach auf dich wirken lassen. Klassische Haiku sind immer:
– authentisch, nicht nachgemacht
– wirksam, wie Medizin, aber voller Poesie
– traditionsverbunden, aber nie museal
– zeitlos, jedoch nicht verstaubt
Probiere den Haiku-Deuter (mit KI). Für mehr Hintergrund und Tipps zur Anwendung im Alltag gibt es weiterführende Seiten:
↬ Was ist ein Haiku?
↬ Was ist das Geheimnis der Haiku?
Regen und Sonnenschein –
zum ersten Mal junges Laub
am Bergesrand.
Uejima Onitsura (1661–1738)
Regentag –
an der Wand hängt
eine Landschaftsmalerei.
Tan Taigi (1709–1771)
Ob Landregen oder
Wolkenbruch –
die Frösche quaken.
Kobayashi Issa

Die Kamelienblüte fällt –
und mit ihr
der Regen von gestern.
Yosa Buson (1716–1784)
Frühlingsregen –
Im Grün des Hains verschwinden
zehntausend Häuser.
Masaoka Shiki
Rotes Abendlaub –
im Tal verblasst
der letzte Regenbogen.
Kobayashi Issa
Weißes Gold!
Schneeregen fällt in
der Altjahresnacht.
Uejima Onitsura (1661–1738)
Den Regen abwarten –
doch jetzt hat er nachgelassen,
eine Libelle … ach!
Kawahigashi Hekigotô
Auf meinen Hut
tropft und tropft es –
Winterregen.
Taneda Santoka

Auf dem Lotos-Blatt
sammelt sich der Sommerregen –
kleine Perlenkreise.
Kobayashi Issa
Tropfen für Tropfen –
das Geräusch des Regens
am Bambusvorhang.
Masaoka Shiki
Regen fällt und fällt,
kein Gedanke im Kopf.
Reiskeimlinge.
Matsuo Basho
Der Regen fällt unaufhörlich, der Geist ist frei von belastenden Gedanken, und die jungen Reiskeimlinge gedeihen ruhig in der Natur. Dieses Haiku vermittelt eine tiefe Gelassenheit und Harmonie mit der Natur, typisch für Bashos Stil.
Die Katze wäscht sich –
plitsch platsch im Fluss,
Frühlingsregen.
Kobayashi Issa
Japan und der Regen, welche Adjektive passen am besten?
sanft, melancholisch, leise, zart, meditativ, fließend, beruhigend, anhaltend, still, geheimnisvoll, friedlich, beständig, erfrischend, durchdringend, geduldig, poetisch, nostalgisch, reinigend, rhythmisch, tröpfelnd, wehmütig, düster, verträumt, zärtlich …

Werkstattbericht
Die Grafiken wurden von DALL-E und dem Microsoft Designer via Bing generiert.


