Haiku Beispiele // Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

Haiku Beispiele // Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

Haiku sind kurze Gedichte. Sie kommen aus Japan und sind seit rund 100 Jahren auch im Westen beliebt. Diese Form der Poesie zeichnet sich durch Kürze und Präzision aus. Meist in drei Zeilen gesetzt, fangen sie einen Moment der Gegenwart ein, der unmittelbar miterlebt werden kann.

Hier findest du einige meisterhafte Beispiele, die von mir direkt aus dem Japanischen übersetzt wurden.

Traditionelle Haiku sind kurze Naturgedichte mit einem jahreszeitlichen Bezug, was mal direkt, mal eher versteckt passiert. Ein kalter Mond verweist auf den Winter, Pflaumenblüten auf den Frühling, Glühwürmchen auf den Sommer und rote Ahornblätter auf den Herbst.

Typische Themen sind Vergänglichkeit, Tiere, Pflanzen, Wetterphänomene und die Schönheit der Welt in ihrem stetigen Wandel.

Die Beispiele zeigen einen Teil der tatsächlichen Spannbreite, denn die ist enorm, auch wenn die Gedichte schon das eine oder andere Jahrhundert auf ihren Schultern tragen. Siehe auch: 10 berühmte traditionelle Haiku

Schwindender Frühling,
noch zögert er –
die letzten Kirschblüten.

Yosa Buson

Yosa Buson (1716–1784): Dichter und Maler der Edo-Zeit. Seine Haiku sind bildhaft und sinnlich, oft wie Gemälde in Worte gefasst. Er verband Ästhetik und Emotionalität meisterhaft.

Auch heute wieder,
dem Tode ein Stück näher –
Wiesenblumen.

Kobayashi Issa

Kobayashi Issa (1763–1827): Haiku-Dichter mit humorvoller, mitfühlender Stimme. Er schrieb über das einfache Leben und das Leiden der kleinen Kreaturen mit tiefem Mitgefühl und leiser Melancholie.

Mondbetrachtung im
Tempel ohne Tor –
der Himmel ist weit.

Yosa Buson

Statt abstrakt über die Welt zu sprechen, zeigen Haiku sich direkt und unvermittelt. Dabei bleiben sie offen, ohne alles auszusprechen. Das Ungesagte kann weiterklingen und so eine entscheidende Rolle in den Gedanken des Lesers spielen. Die japanische Sprache mit ihrer Flexibilität und Vorliebe für Wortspiele verstärkt den Effekt noch. Endreime und Überschriften, wie wir sie gewohnt sind, gibt es im Haiku übrigens nicht. Das betont seine Schlichtheit und Konzentration auf das Wesentliche.

Haiku Beispiele – Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

Vollkommen lautlos,
blassgelbe Falter
im Spiel miteinander.

Kobayashi Issa

Wehmut ist ein häufiger Gast in traditionellen Haiku.

Leb wohl, Leb wohl –
die winkende Hand
verblasst im Nebel.

Kobayashi Issa

Das berühmte Silbenschema 5-7-5 spielte in den Originalen eine wichtige Rolle. Aber nicht in den Übersetzungen der Haiku. Ich habe es ignoriert.

Schlafen, aufwachen –
ein großes Gähnen –
Kätzchen geht Liebemachen.

Kobayashi Issa

Muh, muh, muh –
aus dem Nebel treten
die Kühe hervor.

Kobayashi Issa

Das Bild ist so einfach: Aus dem Nebel treten Kühe hervor, ihr Rufen kündigt sie an. Der dreifache mô verstärkt das Klangbild und bringt eine fast humorvolle, lebendige Note ins Haiku. Das Gedicht lebt von seiner Lautmalerei. Das dumpfe Muhen wird greifbar, fast als Echo aus dem Nebel. Der Nebel selbst verstärkt die Überraschung, denn plötzlich tauchen die Tiere daraus auf – wie aus dem Nichts. Es hat eine leicht schelmische, fast skurrile Stimmung, typisch für Issa, der gerne Alltagsszenen mit einem Hauch von Humor einfing.

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Kaum ist der Frühling da,
findet sich alles:
der Mond, die Pflaumenblüten.

Matsuo Basho

Matsuo Basho (1644–1694): Meister des Haiku und Wegbereiter der japanischen Dichtung. Er verband Naturbeobachtung mit tiefer philosophischer Reflexion und prägte den Zen-haften Stil des Haiku.

Orangenblüte –
wann und aus welchem Feld
ruft der Kuckuck?

Matsuo Basho

Bashos Vers hat einen nostalgischen, fast mythischen Klang. Es könnte sich auf eine alte, vergangene Zeit beziehen – oder auf das Gefühl, dass die Natur und ihre Klänge immer gleich bleiben, während Menschen und Epochen vergehen.
Im Originsl ist von Tachibana Bäumen die Rede. Die Tachibana ist eine seltene, duftende Zitruspflanze, die in Japan seit der Antike kultiviert wird. Anders als die bekannten Orangenbäume trägt sie keine essbaren Früchte, sondern ist vor allem wegen ihrer immergrünen Blätter und ihres feinen Blütendufts geschätzt. In der klassischen japanischen Poesie steht sie für Eleganz, Beständigkeit und vergangene Zeiten.

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Die Makuwa-Melone entdeckt –
und schon sitze ich
auf dem Hocker.

Masaoka Shiki

Wir wissen nicht, ob der Dichter die Frucht auf dem Schemel sitzend lediglich bewundern oder sie viel lieber gleich an Ort und Stelle vertilgen möchte. Die Makuwa ist eine Kürbisgurkenmelone.

Shiki (1867–1902): Reformator des Haiku in der Moderne. Er führte Realismus und Alltagsnähe ein und prägte den Begriff „Shasei“ (Skizzieren aus der Natur), um Haiku direkter und bildhafter zu gestalten.

Alle schlafen –
nur ich und der Mond
sind noch wach.

Enomoto Seifu-jo (1732–1815)

Auch Frauen schrieben Haiku. Sie drückten Naturverbundenheit und innere Gefühle auf poetische Weise aus und brachten so eine einzigartige Perspektive in die Haiku-Dichtung ein. Ihre Werke sind voller Sinnlichkeit und leiser Melancholie, oft mit einem Hauch von Vergänglichkeit und Sehnsucht.

Weiße Chrysanthemen,
so voller Glück,
sie brauchen keine Farben.

Yosa Buson

Der Herbstvollmond
schaukelt und schwankt
im Auf und Ab der Wellen.

Kobayashi Issa

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Morgentee –
wie still die Welt ist,
Chrysanthemenblüten.

Matsuo Basho

das endlose Geräusch
des Wassers –
Buddha!

Taneda Santoka (1882–1940)

Viele Haiku tragen die meditative Tiefe des Zen-Buddhismus in sich. Kein Wunder – nicht wenige Haiku-Dichter waren selbst Mönche.

ein großartiges Gasthaus –
ringsum Berge
und davor ein Sake-Laden

Taneda Santoka

Taneda Santoka (1882–1940): Wandernder Zen-Mönch und freier Haiku-Poet. Er schrieb unorthodoxe, rhythmenfreie Haiku mit minimalistischem Stil, oft über Einsamkeit, Natur und das einfache Leben. Sein Stil war rau und extrem zurückgenommen. Siehe: Gehen, Trinken, Zen – Haiku von Taneda Santoka

Wäre mein Pinsel
ein Schwert –
ich verschlänge es!

Masaoka Shiki

Ein kämpferisches, modernes Haiku. Schreibpinsel hat man seinerzeit genutzt. Der Dichter stellt sich bereit, die zerstörerische Kraft des Schwerts auf sich zu nehmen, damit niemand sonst verletzt wird. Neutralisierung: Das Verschlingen macht die Waffe funktionslos und zeigt die Macht der Kunst, Gewalt zu überwinden. Transformation: Es könnte auch bedeuten, dass die Kraft des Schwerts in die kreative Energie des Dichters umgewandelt wird.

Haiku lesen mit weiteren Beispielen

Weiterführende Links

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Werkstattbericht

Die Grafiken wurden von DALL-E und dem Microsoft Designer via Bing generiert.

Wie ich übersetze

Die Übersetzungen stammen von Lenny Löwenstern. Jede Zeile wurde sorgsam bearbeitet – nicht automatisch, sondern mit modernen Werkzeugen. Ziel war, das Wesen der japanischen Originale zu bewahren – in einer Sprache, die heute berührt.

Über diese Seite

Hoshitori Haiku, das sind Haiku für Dich. Klassische japanische Dreizeiler in neuer deutscher Übersetzung von Lenny Löwenstern.

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